Möglicherweise werden einige von euch beim Lesen der Posts die Frage stellen, warum tut sich dieser Kerl das nur an ?
Gewiss eine berechtigte Frage, besonders wenn ich an die anstrengenden Tagesetappen der letzten zwei Wochen zurückdenke.
Oder so wie gestern, als ich dick vermummt gegen den kalten Wind anfahre. Mein Gesichtsfeld ist extrem eingeschränkt, der Blick meist nach vorn unten gerichtet. Automatisch taste ich wie mit einem Laser den vor mir liegenden Asphalt ab - stets auf der Suche nach Scherben, Schrauben oder Nägeln. Und davon gibt es auf den Highways mehr als genug.
Manchmal zähle ich auch die Pedalumdrehungen von der einen bis zur nächsten Meilenangabe am Rande des Highways. Ein niedriger Wert von rund 250 Umdrehungen pro Meile signalisiert mir ein schnelles Vorankommen. Sind es aber 400 bis 500, dann habe ich ein Problem. Manchmal erlaube ich mir, den Wert hochzurechnen und komme so zur Erkenntnis, dass ich z.B. gestern für die 59 Kilometer rund 17.000 Pedalumdrehungen benötigte. So bleibt man geistig rege !
Verliere ich am Zählen das Interesse, dann male ich mir gelegentlich aus, worauf ich mich nach der Rückkehr Mitte April wohl am meisten freue. Natürlich auf meine Frau und meinen Sohn, aber auch auf die vielen schöne Sommertage in unserer "Toskana". Auf ein Stück Käsekuchen von Annemarie, den besten der nördlichen Hemisphäre ,auch auf die leckeren Schneckennudeln von Susanne oder auf ein gutes Glas Rotwein mit Freunden.
Es gibt so vieles, das ich auf dieser Tour vermisse - aber das ist gut so. Gut deshalb, weil ich freiwillig für eine absehbare Zeit auf viele Annehmlichkeiten verzichte, die zu Hause eben selbstverständlich waren.
All dies bekommt während dieser Radtour einen neuen Stellenwert.
Aber hinter dieser Cycling-Aktion quer durch die USA steckt ja noch viel, viel mehr. Seit meiner Krankheit und der nachfolgenden Pensionierung ist mir bewusst geworden,wie wichtig es ist, sich regelmäßig neue Ziele zu setzen. Ohne soche Zielesetzungen - sei es im privaten oder beruflichen Bereich oder aber in der Freizeit - vergeudest du wertvolle Zeit und dein Leben zieht an dir vorüber.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich nun seit fast 8 Jahren dem Herrn Waldenström erfolgreich paroli bieten konnte. Wichtig hierbei ist wohl auch die Einstellung, die man zu diesem "Herrn" entwickelt. Auch das ist ein Grund, der mich zusätzlich motiviert, Mitte April auf der Golden Gate Bridge zu stehen, ohne dass mir Waldi während der langen Reise quer durch die Staaten zu nahe kommen konnte.
Lässt die Motivation unterwegs einmal nach - so wie diese Woche geschehen - dann darfst du nicht resignieren, sondern musst neue Impulse setzen, die die wieder antreiben.
Deshalb habe ich mir für Anfang März für 5 Tage in Flagstaff einen Wagen gemietet oder am 18. März für zwei Tage ein Hotelzimmer in Las Vegas genommen. Diese Eckdaten auch einzuhalten, sind neue Motivation auf dem Rest der Reise.
Vielleicht überbrücke ich auch tatsächlichlich eine kurzes Teilstück - vom Flagstaff bis nach Kingman - mit dem Wagen, da in dieser Region ebenfalls noch Schnee liegt. Auch dieser Gedanke ist für mich inzwischen kein Tabu-Thema. Eigentlich ist es doch egal, ob ich am Ende 5000, 5500 oder 6000 Kilometer gefahren bin. Bin ich noch vor drei Jahren kaum eine Treppe im eigenen Haus hinaufgekommen, so habe ich eigentlich schon jetzt nach rund 3500 Kilometern gezeigt, dass ich meine alte Leistungsfähigkeit wiedererlangt habe.
Ganz besonders am Herzen liegt mir jedoch, den vielen anderen Krebs- und Leukämiepatienten zu vermitteln,dass eine Chemo nicht unbedingt mit einer dauerhaften Einschränkung der Lebensqualität einhergehen muss. Sich immer wieder zu motivieren - das ist die Kunst, die es zu erlernen gilt.
Ein halbes Jahr Vorbereitung auf diese Tour - Training und Organisation - haben mich mental enorm gestärkt.
Wenn ich dann Anfang April Morro Bay am Pazifik erreiche, dann folgt mit dem Highway 1 die Kür bis hoch nach San Francisco.
Und dann fliege ich in der Gewissheit nach Hause, dass ich noch diese Jahr mein nächstes Projekt in Angriff nehmen werde.